Horizonte in Brasilien

– Aus unserem brasilianischen Reise-Blog –

Deutsch-Brasilianischer Alltag in Picarras

Nun sind wir nach vielen Reise-Wochen im Süden angekommen, wo wir einige Wochen in einem Kinderhort verbringen werden. Dieser liegt in der Kleinstadt Picarras, direkt am Meer etwa 110 km nördlich von Florianopolis.

Schon aus dem Flugzeug sieht alles wesentlich geordneter aus als in Bahia. Wenn man durch Picarras (etwa 20.000 Einwohner) fährt oder -läuft, fühlt man sich wie in einem wohlhabenden Bungalow-Hochhaus-Dorf im Süden Spaniens. Tatsächlich haben sich vorwiegend reiche Leute Häuser oder Appartements direkt hinter dem Strand gekauft – zu Preisen, welche einfache Leute bewusst ausschließen sollen. So jedenfalls war die langjährige Politik in der Kommune.

Hinter den ersten drei Querstraßen in Strandnähe machen sich die typischen Favela-Siedlungen breit. Familien mit vielen Kindern, bei denen der Vater oftmals irgendwann verschwunden ist, haben brachliegendes Land besetzt. Mit einfachen Materialien haben sie darauf ihre Holzhütten gebaut, so wie überall in Brasilien. Sie sind geduldet, solange sich die Kriminalität in Grenzen hält.

In Rio beispielsweise haben wir ein Kultur-Projekt („Nos do Morro“) in einem Favela besucht, das an einem Berghang  oberhalb von Leblon und Ipanema liebt.  Sobald man von der Hauptstraße in das Favela einbiegt, wimmelt es von Moto-Taxis und jungen Menschen, die allesamt verwegen drein schauen. Tiago, unser Begleiter und wir waren sehr darauf bedacht, dort ja nicht eine falsche Straße zu nehmen und rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit wieder draußen zu sein.

Bei Caminar Juntos = Miteinander gehen

Nun  zum Anlass, warum wir hier sind. Wir hatten seit Februar im Kopf, in einem sozialen Projekt für einige Wochen mit zu arbeiten. Hier dürfen wir es. Das Projekt heißt „Caminar Juntos“ (gemeinsamer Weg) und wurde von deutschen Schwestern vor 8 Jahren ins Leben gerufen, um die Mütter des angrenzenden Favelas zu entlasten und die Kinder von der Straße zu holen.  Tagsüber werden dort an die 90 Kinder zwischen 3- und 12  in zwei Gruppen betreut. Während die eine Hälfte der älteren Kinderin die Schule geht, machen die anderen  Hausaufgaben, basteln und spielen mit den Erzieherinnen. Zum Abschluss gibt es eine warme Mahlzeit.

Wir haben mit den Leiter/innen besprochen, dass Christiane zu den Kleineren,  Frank zu den älteren Kindern geht.   Erst einmal wollen wir zuschauen und assistieren, bevor wir ggf. eigene Aktivitäten starten – in Musik, mit Bewegung, Sport und Video. Für das Gespräch mit den Erwachsenen reichen unsere Portugiesisch-Kenntnisse, da sie alle auch ganz gut Deutsch verstehen, teilweise sogar sprechen. Denn hier hat nahezu jeder zweite deutsche Wurzeln. Die Kindersprache ist natürlich schneller und für uns noch nicht zu erfassen, aber das kommt noch. Am ersten Tag, als wir dort waren, haben wir dennoch mit vielen Kindern Kontakt bekommen – über Lachen, Unsinn reden oder im Bewegungsspiel. „Faul Ei“ verbindet überall auf der Welt.

Niklas und Jasper werden in die mittlere Gruppe gehen – da sind sie ihre Eltern zeitweilig los und wir unsere Doppelrolle. Sie haben über Ballspiele und Fangen schon erste Freundschaften geschlossen. Hoffentlich können sie bald bei anderen Aktivitäten mitwirken, wo sie dann ruhiger werden und langsam in die Sprache reinfinden.

 
Am Strand von Picarras
Team Leiter bei Caminar Juntos

Diese Zwischenphase auf unserer halbjährigen Reise dient dazu, uns einen Einblick in das normale Leben der nicht-reichen Bevölkerung zu bekommen und uns ein wenig nützlich zu machen.  Unsere Kinder sollen die Chance haben, sich hier zu integrieren. Sicherlich werden sie erleben, dass es nicht allen Kindern auf der Welt materiell und sozial gleichermaßen gut geht. Wenn sie zugleich erkennen, dass sich alle positiv entwickeln können, wenn sie Unterstützung und Zuwendung erfahren, wäre dies toll. Darüber hinaus möchten wir uns nach der intensiven Reise Zeit für alltägliche Dinge nehmen wie Kochen für Hausaufgaben, Drachensteigen und mehr. Und zwar zusammen und ohne ewigen Zeitdruck.

Dies  wird uns ermöglicht durch das wunderbare Angebot von Schwester Erika, hier in ihrem Haus zu wohnen. Sie lebt in einem Diakonissenheim bei Minden und kommt jedes Jahr für einige Wochen hierher. Sie hat mit anderen (deutschen) Frauen hier ein Beziehungsnetz aufgebaut, das uns freundlich aufnimmt. So Irene, die zunächst zwei Jahre in Erlangen, danach 40 Jahre in Sao Paulo für Siemens gerarbeitet hat und nun die Projektleitung ausübt.

Oder Elisabeth.  Geboren in Rottweil hat sie Anfang 20 Entwicklungsdienst in in Südbrasilien gemacht und hat mit ihrem deutschen Mann einen landwirtschaftlichen Betrieb in Norddeutschland aufgezogen und nebenbei im Krankenhaus gearbeitet. Auf Drängen ihres Mannes ist sie nach wenigen Jahren mit nach Paraguay gegangen und hat dort abenteuerliche Jahre verbracht, unter anderem beim Aufbau eines Betriebes für Baumaschinen. Ihre Geschichten sind abendfüllend und handeln von Intrigen und vom Großmut der Menschen. Jetzt genießt sie die angenehme Umgebung von Picarras und kümmert sich  um die Finanzen von Caminhar Juntos.

Kinderfest in Caminbar Juntos
Faul Ei beim Kinderfest

Bei einem Kinderfest am Samstag haben wir erlebt, wie das Projekt positiv auf die Nachbarschaft wirkt und wie bereitwillig die Kinder Impulse zum gemeinsamen  Spiel aufnehmen, das mal geregelt, mal wild verläuft, aber nie aus dem Ruder gerät. Statt Rutschbahn und Hüpfburg werden die Kinder mit einfachen Mitteln animiert, mal etwas anderes zu tun, als sie  von zuhause aus kennen. So wird selbst bei der 20. Runde von Faul Ei noch gelacht.

Unser erster Eindruck: Hier wird seriös gearbeitet, stets mit knappen Mitteln und viel ehrenamtlichem Engagement. Nach vielen Schwankungen ist das Projekt nun auf dem Weg zu einer dauerhaften Akzeptanz und Finanzierung durch die brasilianischen Schulbehörden. Vorausgesetzt, es findet sich eine Spenden-Möglichkeit, die dritte Erziehrerstelle aus eigenen Mitteln zu bezahlen.

Mehr Infos findet ihr unter: http://www.caminhar-juntos.de.